Palóc Karate Gasshuku 2018
ingo, um 22:12 Uhr am 02-04-2018
Problémák. Viel Ungarisch musste man nicht können, um dieses Wort schnell zu erfassen, das beim Abendessen mit bedenklicher Miene geäußert wurde. Eine Runde illustrer Karatekas wandte sich im stimmungsvollen Gewölbe einer kleinen Pension in Gyöngyös im Norden von Budapest schon den Digestives zu, während die zwei tapferen Vertreter des Karate-Dojo Poing, namentlich József Talpai und Ralf Rebetge dem Koch noch eine Sonderschicht abverlangten, denn es war schon ziemlich spät an diesem Freitagabend. József übersetzte, dass das angesprochene Problémák mit dem Wetter zusammenhing: einer der beiden japanischen Großmeister Shihan Ohta Yoshinobu (7. Dan, JKA Trainer), die als Trainer für den Gasshuku in Ungarn eingeladen waren, konnte mit seiner Maschine wegen Eisregens/Schneefalls in Budapest nicht landen (oder erst gar nicht in London starten). Glücklicherweise löste sich das Problem im Schlaf, d.h. während wir schliefen, denn Ohta konnte am nächsten Morgen jedenfalls in Preßburg landen, wurde nach Gyöngyös gebracht und saß wohlgemut, aber müde beim Frühstück. Die Trainings konnten stattfinden.
Zum nunmehr 23. Mal fand in Ungarn das diesjährige Gasshuku vom 2. – 4. März unter der Organisationsherrschaft des Mátrai Karate-do SE, diesmal in Gyöngyös statt. Chef-Organisator war Janes Zolt, dem wir eine in allen Belangen runde, ja nahezu perfekte Veranstaltung zu verdanken haben. Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, dass etwas nicht genauso gelaufen wäre, wie es hätte laufen sollen. Für das Wetter konnte schließlich niemand etwas. Neben oben schon erwähntem Trainer Shihan Ohta, war als zweiter Großmeister Shihan Sawada Kazuhiro (7. Dan, JKA-Trainer) eingeladen.
Dadurch, dass Ohta erst am Samstag morgen zu der Gruppe stieß, einigte man sich darauf, dass Sawada die beiden Trainingseinheiten für 10.-5. Kyu sowie 4.Kyu bis Dan am Morgen abhalten würde, während Ohta die Nachmittagstrainings leitete. Schon am Freitag abend fand ein Training für alle unter Sawada statt – allerdings ohne Beteiligung des Karate Dojo Poing.
Sawada konnte leider nach einem Schlaganfall das Training nur verbal abhalten und benötigt zum Gehen noch einen Gehstock. Das tat dem Training indes keinen Abbruch. Im Kihon fokussierten sich die Übungseinheiten auf die sinnvolle Nutzung des Körpergewichtes und der Beobachtung des Schwerpunktes, um kraftvolle Techniken zu erzielen. So sollte zum Beispiel während des Umsteigens im Kibadachi der eine Partner den Gürtel des im Kibadachi stehenden am Rücken hochziehen, der sich somit nur mit Hilfe der Schwerkraft halten konnte. Allein schon die Vorstellung, dass jemand von hinten den Gürtel hochhält, verhilft dem Praktizierenden schon einen stabileren Stand. Der Kata-Teil fügte sich hervorragend in den Trainingsplan des Dojo Poing ein, bei dem die Kata Jitte im März auf dem Programm steht. Sawada behandelte nämlich die verwandten Katas Jion und Ji’in, die, jeweils in alle vier Himmelsrichtungen praktiziert, bei den Gedan/Uchi Uke Kombinationen genügend Verwechlungspotential bieten (in einem Fall benutzt man beim Gedan Uke die linke Hand im anderen Falle die rechte), was dann auch von einigen der ca. 250 Lehrgangsteilnehmern hinreichend genutzt wurde.
In der Mittagspause konnte man in der Internatsschule, in der auch die Trainings stattfanden, bleiben und sich in der dortigen Kantine mit einer kräftigenden Gemüsebrühe, ungarischem Gulasch und einem Krautsalat Energie für das Nachmittagstraining holen.
Während im morgendlichen Unterricht noch eine Übersetzerin benötigt wurde (englisch-ungarisch), war unter Ohtas energischer Trainingsleitung eine Übersetzung zumeist hinfällig, weil ohnehin fast jeder verstand, was er wollte. Er hätte wahrscheinlich auch in südkirgisisch artikulieren können. Eine andere Frage ist freilich, ob man das Verstandene dann auch umsetzen konnte… Kanku-Sho stand auf dem Programm. Auch wenn man die Kata vorher noch nie gemacht hatte, wurde einem der Einstieg recht leicht gemacht, weil der gesamte Bewegungsablauf in Kleinsteinheiten zerlegt wurde, man also erst den rechten Arm, dann den linken Arm und schließlich die Beine jeweils separat behandelte, bis dann die Bewegung und schließlich die Kata zusammengeführt wurde. Bunkai-Übungen rundeten die Trainingseinheit ab.
Wer seine Flexibilität der Hüften auch in anderer Form als für Karate nutzen wollte, dem war abends beim Bankett die Gelegenheit dazu gegeben: man durfte das Tanzbein schwingen. Und zwar beim abendlichen Bankett, das ebenfalls in der Pension stattfand. Dank Józsefs Status in der Karate-Welt Ungarns wurde der Karate Dojo Poing kurzerhand an die Ehrentafel gesetzt und man saß mit Ohta, Sawada und anderen Honorationen der ungarischen Karate-Welt zusammen. Es gab schmackhafte Tellergerichte, wobei vor allem der Nachtisch ‚Somlói galuska‘, was soviel wie ‚Somloer Nockerl‘ heißt, positiv in Erinnerung bleiben wird. Während sich József von Gespräch zu Gespräch hangelte, was eben auch andere taten, kam Ralf in die starke Versuchung mangels geeigneter Gesprächspartner sich verwaister Teller mit den Somlói galuska anzunehmen. Er tat es nicht und wandte sich indessen einer anderen Spezialität, nämlich ‚Unicum‘ zu. Unicum geschmacklich mit einem Jägermeister zu vergleichen, ist selbstverständlich eine Beleidigung für Unicum und doch kann einem das die Vorstellung erleichtern. Ralf benötigte einige Anläufe, um tatsächlich festzustellen, dass Unicum viel besser schmeckt… Eine Gruppe von Bauchtänzerinnen, die mit ihren Flügelkostümen engelsgleich über die Tanzfläche schwebten, animierte dann die Karate-Gesellschaft zum Tanzen – mit Ausnahme des Dojo Poing, der sich hier in Zurückhaltung übte.
Es ging ein aufregender, lehrreicher und selbstverständlich spaßiger Gasshuku zu Ende, für den es sich in jedem Falle lohnte, ca. 1.600km insgesamt zurückzulegen. Es wäre schön, wenn beim nächsten Lehrgang mehr Teilnehmer des Karate Dojo Poing teilnähmen.
Ralf Rebetge